
Die Erwartungen hätten nicht höher sein können. Als „Show der neunziger Jahre“ wurde sie vom ZDF angekündigt, von einer „Revolution der Fernsehunterhaltung“ war die Rede, „noch besser als Wetten, dass..?“ hieß es im Vorfeld. Frank Elstners Nase vorn, die damals teuerste deutsche Fernsehsendung, sollte 1988 den Samstagabend wiederbeleben und neue Maßstäbe setzen. Die Neugierde bei Publikum und Presse war riesengroß. Dementsprechend hoch waren bei der Premiere auch die Einschaltquoten. Doch die Öffentlichkeit reagierte anders als gewünscht. Zu langweilig, zu kompliziert sei die Show. Kein gutes Haar wurde an ihr gelassen. „Nase voll!“ und „Nase ab!“ titelten die Zeitungen. Zwar beruhigte sich nach der dritten Ausgabe und einigen Änderungen die öffentliche Diskussion ein wenig, und Nase vorn und Elstner schienen im Aufwind. Dennoch blieb die Kritik und biss sich fest. Und von Sendung zu Sendung kamen auch die Zuschauer abhanden. Nach 13 Ausgaben schmiss Elstner schließlich das Handtuch. Immerhin war die Show über den gesamten Verlauf quotenmäßig die zweiterfolgreichste Sendung des ZDF nach Wetten, dass..?. Trotzdem gilt es als größter Flop von Sender und Elstner. Leider. Denn um es klar zu sagen: Nase vorn war meine absolute Lieblingssendung, und sie ist es immer noch. Ich halte sie für Frank Elstners Meisterstück; das Kreativste, was er je gemacht hat. Und das aus vielen Gründen.
Show mit Botschaft
Nase vorn wurde als die Show der Zukunft angekündigt, und das war sie auch im wahrsten Sinne des Wortes, denn sie hatte die Zukunft zum Inhalt. In der Sendung wurden Menschen vorgestellt, die auf irgendeinem Gebiet führend waren. Das waren meist Erfinder und Problemlöser. Da gab es den Ingenieur, der den Bus der Zukunft konstruiert hatte; die Bewohner eines Altersheims, die ihren langweiligen Alltag mit einem eigenen, hausinternen Fernsehen bunter machten; den Jogger, der beim Laufen durch den Wald Müll einsammelte; den Polizisten, der Türkisch gelernt hatte und jetzt türkischen Kindern Märchen in ihrer Sprache vorlas; und schließlich den Erfinder eines Spielautomaten, der Plastikflaschen und Batterien spielend einfach entsorgte. Unvergessen auch die Zahnärzte, die mit originellen Methoden ihren Patienten die Angst nahmen. Im Behandlungsstuhl saß übrigens Norbert Blüm, der damalige Arbeits- und Sozialminister – und Feind aller Zahnärzte. Eine Sternstunde des deutschen Fernsehens!
Daneben präsentierten Werbeagenturen Spots, die Probleme und Themen originell behandelten. Da wurde für Hausmänner geworben, der Spruch „peinlich ist menschlich“ lustig umgesetzt oder der Baum des Jahres gekürt. Und in der Sendung kurz nach der Maueröffnung sang ein deutsch-deutscher Jugendchor „Wir sind grenzenlos“. Grenzenlos schien auch die Fantasie all dieser Menschen, die das Leben lebens- und liebenswerter machten.
So fand auf der Bühne eine Revue voller Ideen statt, die konstruktiv, kreativ und originell waren und die Menschen im Kleinen und Großen weiterbrachten. Die Gäste waren beispielgebend für die Zuschauer, ob jung oder alt, und damit wie geschaffen für eine generationenverbindende Show. Mit seinen Botschaften und seiner Philosophie wurde Nase vorn für mich zur wertvollsten Sendung im deutschen Fernsehen.
Es wird gerubbelt!
Zu diesen Inhalten kamen viele weitere moderne und fortschrittliche Elemente. Die Sendung spielte mit neuen Techniken, mit denen wir alle leben. Die ersten Faxgeräte wurden vorgestellt. Auch Heimcomputer, die damals überall Einzug hielten, kamen spielerisch zum Einsatz. Dann das Bühnenbild: das Kandidatenpanel war beweglich und rotierte auf Luftkissen. Genauso wie die Bühnenwände, hinter denen sich weitere Attraktionen verbargen. Außerdem bekam jeder Saalzuschauer eine Lampe. Durch Ein- und Ausschalten konnte das Publikum über Kandidaten und Themen abstimmen. Das ergab stimmungsvolle Bilder, wie bei einem Rockkonzert.
Am aufsehenerregendsten aber waren die Rubbelkarten, die von der Post mit der Telefonrechnung an die Haushalte verschickt wurden. Damit konnten die Fernsehzuschauer während der Sendung von zu Hause aus aktiv mitspielen. Was für ein Einfall, diese lustige und spannende Spielart mit einer Show zu verbinden! Die Rubbelkarten sind für mich Vorreiter für das Mitspielen mit Handys, das heute bei Fernsehsendungen gang und gebe ist.
Vorreiter und Trendsetter
In der Show steckten so viele neue Ideen – man könnte leicht mehrere Sendungen daraus machen. Ohnehin waren unter den neuen Elementen viele, die man später in anderen Formaten wiederfand. Und zwar nicht nur die beweglichen Bühnenteile und die Lichter im Publikum, sondern auch die Problemlöser selbst: Die Unternehmensgründer in der Höhle der Löwen sind alle klassische Nase vorn -Kandidaten. Und Das Ding des Jahres läuft direkt ab wie Nase vorn: Erfinder, über die das Publikum abstimmt. Auch ein Casting gab es schon in Nase vorn. In der ersten Ausgabe fand ein Nachwuchswettbewerb für Fernsehansagerinnen statt, später einer für Schauspielerinnen.

Stimmung: heiter-besinnlich
Aber warum setzte sich die Sendung nicht durch? Wichtig ist, dass nach Wetten, dass..? die Fallhöhe sehr groß war. Noch dazu, weil Nase vorn nicht nur als die Show der Zukunft angekündigt worden war, sondern auch als die Show der Superlative. Der geniale Showtitel und der wunderbare Vorspann mit den rennenden Nasenhörnchen versprachen zusätzlich Tempo und Spannung. Die damit verbundenen Erwartungen der Zuschauer wurden aber nicht erfüllt. Denn das Prinzip war eben nicht schneller, höher, weiter. Elstner hatte gesagt, er wolle „Menschen vorstellen, die etwas zu erzählen haben“, und er möchte, „dass in der Sendung gelächelt wird.“ So war die Stimmung in der Show eher heiter-besinnlich. Das empfanden viele Zuschauer als langweilig. Und wenn sich der Zuschauer langweilt, ist er schnell gnadenlos.
Dann war das Spektrum der Menschen, die die Nase vorn hatten, sehr breit, vielleicht zu breit. Die Sendung hatte in ihrer Fülle keine klare Ausrichtung und kein deutliches Profil. Dadurch blieb die Botschaft oft verschwommen.
Verkannt und nicht verrannt
Insgesamt kam die Show zu früh auf den Fernsehmarkt und war ihrer Zeit voraus. Die Öffentlichkeit hatte keine Wertschätzung für die Gedanken, die ihr zugrunde lagen. So gab es die Sendung nur zwei Jahre. Für mich hätte sie ewig laufen können. Denn durch ihren Inhalt und ihre Form wäre sie immer zeitgemäß und damit zeitlos gewesen. Und wenn ich jetzt an die Lichter im Publikum denke, an die vielen großen und kleinen Ideen und an die Rubbel-Musik, dann hat Nase vorn etwas Magisches. Es ist wie mit einer schönen Tasse, die einen kleinen Sprung hat: die liebt man oft am meisten.