Allgemein, Radio

Die Shitparade auf Radio Gong 96.3: mehr als ein Radiospiel

Gleich muss ich das Radio lauter drehen, denn um 7:40 Uhr kommt auf dem Münchener Sender Radio Gong 96.3 wieder die Shitparade. Hier wird gefragt: ist ein bestimmtes Lied ein Hit oder ist es Shit? Die Shitparade ist ein kleines Juwel in der Radiolandschaft und funktioniert so: jedes Mal wird ein Lied gespielt, bei dem die Meinungen weit auseinander gehen. Die einen finden es wunderbar, die anderen ganz schrecklich. Jetzt sind die Hörer gefragt: sie sollen bei Moderator Mike Thiel anrufen und ihm sagen: wollen sie den Song auch am nächsten Morgen hören oder nicht? Also: Hit oder Shit? Die Regeln sind einfach. Mit drei Stimmen für Hit kommt der Song wieder, mit drei Stimmen für Shit fliegt er raus, und ein neuer Titel muss sich dem Votum der Hörer stellen. Zur Wahl standen in der Vergangenheit Nummern wie: „Atemlos durch die Nacht“ von Helene Fischer, „Biste braun, kriegste Fraun“ von Mickie Krause oder „Schnappi, das kleine Krokodil“ von Schnappi.

Das läuft dann so ab:

Mike: Hier ist der Mike, wer ist live am Telefon?

Hörer: Hier ist der Paul aus Sendling!

Mike: Guten Morgen Paul! Sag mir: ist das ein Hit oder ist das Shit?

Hörer: Auf keinen Fall mehr spielen – ganz furchtbar! Absoluter Shit!

Mike: Ist gezählt, Paul! Null zu Eins für Shit. Und wer ist jetzt am Telefon?

Hörerin: Die Steffi aus Laim!

Mike: Steffi, wie gefällt dir dieser Song?

Hörerin: Ich liebe ihn total! Er ist der Hit! Unbedingt drin lassen!

Mike: Alles klar, Steffi aus Laim! Damit steht es Eins zu Eins. Spannend! Wer ist jetzt dran?

So geht es weiter, bis eine Seite drei Stimmen verbucht. Das ist so locker und lustig, so kurzweilig und erfrischend und macht so einen Spaß, dass ich regelrecht süchtig bin und keine Folge verpassen will.

Das liegt nicht nur am originellen und eingängigen Konzept, sondern auch am Moderator. Morningman Mike Thiel geht mit den Anrufern so respektvoll, wohlwollend und charmant um, ganz gleich, welchem Lager sie angehören, dass man am liebsten selber zum Telefon greifen möchte. Auch die Anrufer haben hörbar Freude daran und sind gut gelaunt. Man merkt ihnen an: der Spaß zählt.

Und ich behaupte: bei der Shitparade schwingt noch etwas anderes mit; ja, sie hat sogar eine tiefere Bedeutung! Sie lehrt Toleranz; zumindest gegenüber anderen Musikgeschmäckern. Wahre Toleranz fängt ja im Kleinen an.

In einer Zeit, in der sich viele ihr eigenes Musikprogramm per Handy zusammenstellen, und kaum mehr jemand Geduld hat, für drei Minuten ein Lied zu hören, das nicht hundertprozentig seinem Geschmack entspricht, ist so ein Radioelement überaus wohltuend und heilsam. Die Shitparade schafft, dass man Spaß auch an Musik hat, die einem nicht gefällt. Sie geht spielerisch damit um, dass die einen lieben, was die anderen ablehnen. Die Shitparade verbindet.

Außerdem rufen Hörer aller Altersgruppen an: Kinder, Jugendliche, Erwachsene. Ein generationenübergreifendes Programm, das sagen will: wir alle haben Freude am Radio und an Musik, und hören uns auch mal gemeinsam einen Song an, den nur die anderen mögen.

Und jeder von uns hat wohl das eine oder andere Lieblingslied, das ihm zunächst noch gar nicht so gefallen hat. In Musik muss man sich oft hineinhören, vor allem, wenn sie neu für einen ist. Also einfach mal über den eigenen Tellerrand hinaushören! Wer weiß, vielleicht entdeckt man eine neue Leidenschaft.

Das ist jedenfalls Radio, wie es besser nicht sein kann. Mein Votum ist eindeutig: die Shitparade ist der absolute Hit. Unbedingt morgen wieder spielen!

Foto (c) https://www.radiogong.de/: Morningman Mike Thiel

Die Shitparade von Montag bis Freitag um 7:40 Uhr auf Radio Gong 96.3, zu erreichen unter der Telefonnummer 089 / 38 38 38 38.

Radio Gong 96.3 auf Instagram: https://www.instagram.com/gong96.3/

Allgemein, Kino

West Side Story: Spielbergs Musical-Wunder

Foto (c) 20th Century Studios

Dieser Film vollbringt etliche Wunder, aber drei davon sind besonders außergewöhnlich. Erstens: die Kritiken. Sie klingen, als ob die Verfasser beim Schreiben noch innerlich getanzt und gesungen hätten. Das kommt bei Kritikern nicht oft vor. Ihre Begeisterung kennt aber wahrlich keine Grenzen: „Einer der besten Filme des Jahres“ jubelt das Magazin Slash Film. Und das ist nur eine Lobeshymnen von vielen: „Atemberaubend“ (Indie Wire), „Ein überschäumendes, modernes Märchen“ (Time), „Eine West Side Story für eine neue Generation“ (Vanity Fair), „Spielberg schenkt dem Musical-Klassiker ein wirklichkeitsnahes, mitreißendes Update“ (Variety), „Eine Liebesgeschichte, die so bedeutsam wie eh und je ist“ (USA Today) und schließlich: „Spielberg schafft das Unmögliche“ (Entertainment). Das Magazin Empire verleiht dem Werk gar die Höchstpunktzahl: fünf von fünf Sternen.

Neuauflage gelungen

Das zweite Wunder: Spielberg ist seine West Side Story in höchstem Maße gelungen, obwohl Neuauflagen problembehaftet sind. Denn neu verfilmt werden meist bewährte Stoffe, und hier hängt die Messlatte hoch. Viele Neuauflagen fallen bei Publikum und Presse durch, entweder weil sie tatsächlich schwächer als das Original sind, oder weil das Original mit ausschließlich guten Erinnerungen verbunden ist. Den prägenden Eindruck von „damals“ kann man nur schwer wiederholen oder gar übertreffen. Und Manches von früher wird auch verklärt. Auch die erste Verfilmung von West Side Story, die auf dem gleichnamigen Broadway-Musical von 1957 beruht, ist grandiose Vorlage und große Bürde zugleich. Ihre Bilanz: zehn Oscars, der erfolgreichste Film von 1961 und längst ein Klassiker.

Spielberg aber variiert diese Verfilmung leicht. Seine Fassung ist außerdem näher am Original-Musical, das er zusammen mit seinem Drehbuchautor Tony Kushner („Lincoln“) um moderne Themen ergänzt hat. Deswegen legt er Wert darauf, dass sein Film kein Remake des Film-Klassikers ist, sondern eine filmische Neuinterpretation des Broadway-Hits. In der Geschichte, die von Shakespeares „Romeo und Julia“ inspiriert ist, geht es um die schicksalhafte Liebe von Tony und Maria. Sie gehören zwei rivalisierenden Jugendgangs, den Jets und den Sharks, im New York der 1950er Jahre an. Besonders wichtig war Spielberg, alle Sharks – im Gegensatz zum Film von 1961 – mit puerto-ricanischen Schauspielern oder US-amerikanischen Schauspielern mit Wurzeln in Puerto Rico zu besetzen. Seine Figuren und ihre harten Lebensumstände sind wirklichkeitsnah. Die Geschichte um Fremdenfeindlichkeit und rassistische Vorurteile habe Bezüge zu unserer Zeit und sei bedeutsamer denn je, sagt Spielberg.

Spielberg kann Musical

Und schließlich drittens: die größte Überraschung des neuen Films ist laut dem Online-Magazin Slate, dass Spielberg ein Genre bravourös beherrscht, in dem er noch nie tätig war. Dabei wollte er schon immer einmal ein Musical inszenieren. West Side Story ist seit seiner Kindheit sein Lieblingsmusical. In die Musik von Leonard Bernstein habe er sich sofort verliebt, schwärmt er. Nun beweist er, dass er auch das kann, und liefert dabei ein Meisterwerk ab. Schon wieder einmal.

Der Film zeigt die ganze Kraft und Vielseitigkeit von Spielbergs Regiekunst. Die Bilder sind in satte, weiche Farben getaucht, die Tänzer wirbeln über die Leinwand, die Kamera folgt ihnen in zahllosen raffinierten Einstellungen. Mittendrin glänzen die sagenhaften Darsteller und Gesangskünstler, allen voran das bezaubernde Paar Tony (Ansel Elgort) und Maria (Rachel Zegler) – er kühn und leidenschaftlich, sie besonnen und liebevoll. Elgort singt mit einer Leichtigkeit und Zegler mit einer Anmut, wie es seinesgleichen sucht. Der Kritiker von The Guardian bekennt: „Ich habe mein Herz an dieses ergreifende, amerikanische Märchen von einer schicksalhaften Liebe verloren.“

Sie werden es nicht glauben

Also machen Sie sich auf etwas gefasst. Und vielleicht geht es Ihnen so, wie es die Time voraussagt: „Sie werden es nicht glauben, bis sie es sehen, und vielleicht selbst dann nicht.“

Jetzt entscheidet erstmal das Publikum an der Kinokasse. Dann stehen Preisverleihungen an, unter ihnen die Oscars. Die wundersame Erfolgsgeschichte von Spielbergs West Side Story hat gerade erst begonnen.

West Side Story läuft seit 9. Dezember 2021 in den deutschen Kinos.