Allgemein, Fernsehen, Kino

Loriot 100: Die neuen Themen

ARD/SWR LORIOT 100, Film von André Schäfer, am Montag (06.11.23) um 20:15 Uhr im ERSTEN. © SWR/Hugo Jehle

Dass Loriot im Jahr 2011 verstarb, ist eine Unverschämtheit. Oder um es mit Herrn Hoppenstedts Worten zu sagen: „Das ist eine bodenlose Unverschämtheit, die ich mir in dieser Form verbitten möchte“ („Kosakenzipfel“). Sie fragen, warum eine bodenlose Unverschämtheit? Weil Loriot zu Lebzeiten die Deutschen gelehrt hat, über sich selber zu lachen. Wie entlastend und erleichternd das ist! „Das Komische ist man selbst“, sagte er einmal. Vor allem, wenn man sich zu ernst nimmt. Dann ist die Fallhöhe am größten, sollte etwas misslingen. Gerade die zwischenmenschliche Kommunikation misslingt oft und führt so zu kuriosen Missverständnissen. Das hat er genial beobachtet und uns feinsinnig klar gemacht.

Zu so vielen Themen hat Loriot Situationen geschaffen, die absurd und dadurch lustig sind. Da ist die Liebeserklärung mit Nudel im Gesicht („Sie haben da was am Mund…“), die seriöse Fernsehansage („Gwyneth Molesworth hatte für Lord Hesketh-Fortescue in Nether Addlethorpe einen Schlipth…“), Weihnachten bei den Hoppenstedts („Früher war mehr Lametta!“) und Unzähliges mehr.

Selbst die Weltpolitik floss in seine Sketche ein. In „Der K 2000“ wird der Vertreter eines heimischen Mini-Luftschutzbunkers interviewt, der sich angesichts der atomaren Aufrüstung hoher Umsätze schon sicher ist. Die Journalistin fragt ihn schließlich: „Und was ist, wenn sich die politische Lage plötzlich entspannt?“ Er winkt ab: „Na, wir wollen doch nicht gleich mit dem Schlimmsten rechnen.“

Das Loriot-Phänomen

Loriots Humor ist zeitlos. Sein Werk bringt Generationen zum Lachen. Je öfter man es liest, hört oder sieht, umso lustiger ist es. Das ist das Loriot-Phänomen. Seine skurrile Komik und sein Wortwitz sind allgegenwärtig. So oft hat man in Alltagssituationen das Gefühl, dass man in einen seiner Sketche geraten ist. „Das ist doch wie bei Loriot!“, kommt es einem schnell über die Lippen. Allein der Gedanke daran hilft schon, die Spannung aus einer misslichen Lage zu nehmen.

Bernhard-Viktor „Vicco“ Christoph-Carl von Bülow wäre am 12. November in diesem Jahr 100 geworden. Ein Grund, seiner zu gedenken und zu schauen, welche neuen Themen es gibt, die Loriot-würdig sind und sich geradezu dafür anbieten, in einer seiner Nummern verarbeitet zu werden. Solche Themen tun sich vor allem in den Bereichen Technik, Gesellschaft und Politik auf.

Menschen, Technik, Katastrophen

Technik scheint ihn schon immer fasziniert zu haben, oder vielmehr das Unvermögen des Menschen mit ihrer rasanten Entwicklung mitzuhalten. Man denke an seine eingeengten Passagiere im Flugzeug („Es ist schon sehr bequem, gerade auf größeren Strecken“), an die Videoaufnahme von Mutters Klavier („Läuft das Band?“) und an das Telefonat nach Hause bei der Firma Saugblaser Heinzelmann („Ach Pipilein du bist’s, hier ist der Papi, holst du mal die Mami? – Das war meine Tochter…“).

Jetzt in unserer digitalen Welt gibt es noch viel mehr Neues: Tele-Shopping, Online-Shopping, Partnersuche via Internet. Wir verwenden Streaming und Social Media. Handys, Sprachassistenten und Drohnen sind in unser Leben gedrungen. Menschen reden scheinbar mit sich selber, dabei benutzen sie nur ein Headset. Nichts als Updates und New Versions. Wir sind oft überfordert. Komplikationen sind vorprogrammiert.

Wie schön wären da neue Loriot-Sketche! Beispiel: Thema Smartphone. Man stelle sich vor, wie die Enkelin versucht, mit ihrem Opa ein Videotelefonat zu führen. „Das ist ein ganz einfaches System“, meint der Opa siegessicher, um kurz darauf irritiert zu fragen: „Muss ich hier irgendwie wischen?“ Darauf die Enkelin: „Du musst was in deinen Einstellungen ändern.“ Opa empört: „Ich bin 78 – Wieso muss ich meine Einstellungen ändern?“ Die Kommunikation gipfelt schließlich in einen fast unauflösbaren Dialog. Enkelin: „Ich kann dich jetzt hören, aber nicht sehen.“ Opa: „Ich kann dich sehen, aber nicht hören…“

Oder das Navigationsgerät im Auto entwickelt ein Eigenleben. Zunächst empfiehlt die weibliche Stimme dem orientierungslosen und gestressten Fahrer noch zweimal freundlich: „Bitte ändern Sie Ihre Fahrtrichtung“, um kurz darauf forsch zu fordern: „Bitte ändern Sie Ihr Leben!“

Hat man sich erst einmal auf Loriots Humor eingestellt, geht es schnell, dass jede Fehlermeldung beim Computer harmlos, ja sogar heiter wirkt. Künstliche Intelligenz verlangt geradezu danach, von Loriots Figuren bewertet zu werden. „Eine ganz famose Entwicklung!“ könnte Paul Winkelmann aus „Ödipussi“ sagen. Und selbst die Fortbewegung auf einem E-Roller entbehrt plötzlich nicht mehr einer gewissen Komik.

Die perfektionierte Gesellschaft

Auch im gesellschaftlichen Leben gibt es neue Themen. „Selbstoptimierung“ ist das Schlagwort. Man „trackt“ sich jetzt: Schritte, Puls, Kalorien. Wie man geschlafen hat, sagt einem das Handy. Das wäre doch auch etwas für Blühmels, Meltzers, Klöbners und wie sie alle heißen. Roswitha Pröhl reitet eh schon dreimal die Woche, wie wir im „Kosakenzipfel“ erfahren durften.

Auf Instagram ist die Selbstdarstellung der User mit Pool- und Dessertfotos schon Real-Satire. Und warum erinnert mich das Gendern irgendwie an Loriots Jodelschule? Weil es nicht ganz leicht ist, bei Ärzt*Innen, Student*Innen und gar Mensch*Innen das zweite Futur bei Sonnenaufgang zu bilden. Holleri du dödel du! Bei den Klimaklebern sehe ich sowieso politische Karikaturen mit Knollennasenmännchen vor mir.

Politik und Humor

Überhaupt wäre es gut, die politische Radikalisierung durch Humor zu entschärfen. All die unversöhnlichen und humorlosen Vertreter von Ideologien – Loriot hätte seine Freude daran. Am dringendsten bräuchten wir ihn wohl bei Corona. Wie gern würde ich Evelyn Hamann zu ihm sagen hören: „Ihre Maske sitzt schief…“

Aber das sind alles nur Gedankenspiele. Loriot könnte das natürlich viel besser. Was würde ihm alles einfallen! Und wie gut täte es uns, wenn wir über das viele Ernste wieder schmunzeln, grinsen oder so richtig lachen könnten. Zeigen wir deshalb, dass wir etwas von ihm gelernt haben. Und feiern wir seinen 100. Geburtstag! Was er wohl dazu sagen würde? Ich vermute: „Ach was!“